Leidenschaft fürs Klavierhandwerk

Ihr Beruf ist ihre grosse Leidenschaft: Eveline Sutter. (Fotos: zVg)

Eveline Sutter verfügt über rund 20 Jahre Erfahrung als Klavierbauerin und -stimmerin. Sie spricht über ihre Leidenschaft für das Klavierhandwerk und verrät, weshalb sie den Schritt in die Selbstständigkeit wagte.

Nach 20 Jahren als Klavierbauerin und -stimmerin im Angestellten­verhältnis haben Sie sich kürzlich selbstständig gemacht. Weshalb und warum gerade jetzt?
Eveline Sutter: Nach erlebnis- und erfahrungsreichen Jahren im Angestelltenverhältnis war es einfach Zeit für eine Veränderung. Einmal selbstständig zu sein, hätte ich mir vor Kurzem nicht im Traum vorstellen können. Die vielen positiven Rückmeldungen in den vergangenen Jahren haben mir allerdings gezeigt, dass meine Arbeit geschätzt wird und man mir vertraut. Dies hat mich darin bestärkt, mich selbstständig zu machen. Zumal ich bei Vorstellungsgesprächen gemerkt habe, weniger Kompromisse eingehen zu wollen. Zudem ergreifen immer weniger Schulabgängerinnen und -abgänger «mein» Handwerk und die Pensionierungswelle der Babyboomer trifft auch unsere Branche. Ich hoffe, dass mir dies bei meiner Selbstständigkeit in die Karten spielen wird.

Geht es ums Bauen oder Stimmen von Klavieren, denkt die Mehrheit zuerst wohl an einen kräftig gebauten Mann und weniger an eine zierliche, feinsinnige und gut gekleidete Frau. Weshalb haben Sie diesen «Männerberuf» ergriffen?
In der Schweiz werden – leider – praktisch keine Klaviere mehr gebaut und auch Totalrevisionen werden nur noch von sehr wenigen Betrieben vorgenommen. So liegt mein Fokus in der Mehrheit der Fälle auf dem Stimmen und auf kleineren Revisionen. Und hierfür braucht es Fingerspitzengefühl, ein gutes Gehör, Augenmass und Einfühlungsvermögen. Eigenschaften, die man gewöhnlich Frauen zuschreibt. Anpacken sollte man allerdings auch können, womit ich mich nicht schwertue. So zierlich bin ich dann auch wieder nicht.

«Ich finde oftmals – meistens tote – Mäuse in den Klavieren.»

Sie nennen sich «Klavierwerkerin». Was hat es mit diesem Namen genau auf sich?
Zum einen soll hiermit deutlich gemacht werden, dass mittlerweile genauso viele Frauen wie Männer in meinem Beruf arbeiten. Zum anderen ist es mir ein Anliegen, als Handwerkerin wahrgenommen zu werden. Der Name «Klavierwerkerin» verbindet beides sehr gut.

Die meisten Leute können sich in etwa vorstellen, was eine Klavierbauerin und -stimmerin so macht. Doch was genau beinhaltet Ihr Beruf so alles?
Wir stimmen nicht nur Klaviere, Flügel, Cembali und Spinette. Vielmehr kümmern wir uns umfassend um die Instrumente. Es ist uns ein grosses Anliegen, dass die Instrumente auch nach zehn, 20, 30 oder noch mehr Jahren noch funktionieren und ihren Besitzerinnen und Besitzern Freude bereiten. Zumal Klaviere aus vielen unterschiedlichen Naturmaterialien bestehen und mehr oder weniger stark auf äussere Einflüsse reagieren. Meine Aufgabe besteht darin, das Instrument im Auge zu behalten, bei kleineren Veränderungen einzugreifen und zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Revision durchzuführen. Neben Anpassungen an neueren Klavieren mache ich oftmals auch ältere Instrumente wieder spielbar, wenn zum Beispiel die Enkelin das Klavier des Grossvaters erbt. Hierbei geht es jeweils auch um viele Emotionen.

Sie betreuen ein breites Spektrum an Kunden. Was war in Ihrem bis­herigen Berufsleben das skurrilste Erlebnis mit Kunden?
Da gibt es eine Menge. Was viele kaum glauben würden: Ich finde oftmals  – meistens tote – Mäuse in den Klavieren. Früher waren es alte Häuser, in die sich die ungebetenen Gäste einfach Zutritt verschaffen konnten, heute sorgen Katzen hierfür. An die Jagd auf eine ­lebende Maus zusammen mit einer Kundin kann ich mich noch gut erinnern. Als Klavierbauerin und -stimmerin ist man eben auch noch Kammer­jägerin in Teilzeit.

Nach wie vor kann man Ihren Beruf im Rahmen einer Lehre erlernen. Was für Fähigkeiten muss man für Ihr Handwerk mitbringen und wie schaut es überhaupt mit dem Nachwuchs aus?
Eine Grundvoraussetzung sollte die Liebe zur Musik sein. Ich durfte in einer sehr musikalischen Familie aufwachsen, lernte Akkordeon und hatte Gesangsunterricht in den Bereichen Klassik und Jazz. Neben der Bereitschaft, anzupacken, braucht man zur Ausübung meines Berufs auch viel Geduld und Ausdauer. So macht man zum Beispiel eine Regulation 88-mal, sprich einmal pro Taste. Da es sich bei Klavieren um mechanische Gerätschaften handelt, sollte man sich auch für Physik interessieren und gerne logisch denken. Und was ganz wichtig ist: Man muss gerne mit Menschen zu tun haben. Trifft man in seinem Alltag doch auf die unterschiedlichsten Charaktere. Ausbildungstechnisch schaut es bei uns nicht gerade rosig aus. Im Schnitt finden sich in der ganzen Schweiz pro Jahr noch etwa fünf Lehrstellen.

Neben Ihnen gibt es noch eine sehr überschaubare Anzahl Ihres Berufsstandes. Was unterscheidet Sie von Ihren Kollegen und was zeichnet Sie als Dienstleisterin besonders aus?
Mein Beruf war, ist und wird es immer sein: meine grosse Leidenschaft. Meine Kundinnen und Kunden sagen mir immer wieder, dass man das spüre. Zudem kann ich die jeweilige Lage gut beurteilen. Bei dem einen darf man es mit dem Perfektionismus nicht auf die Spitze treiben, bei den anderen muss man irgendwann bremsen. Aufgrund meiner Erfahrung kann ich das gut einschätzen. Ebenso bin ich immer mit der Zeit gegangen, sprich neben den klassischen Arbeiten baue ich auch Klima­geräte und Silentsysteme ein.

«Kenne auch die Musikszene im ‹hippen› Kanton Zürich gut.»

Sie sind zudem selbst noch erfolgreich als Sängerin unterwegs. Sie werden einzeln gebucht, singen aber auch einmal zu zweit und sind zudem Sängerin der Bands «Cobana» und «Funkollective». Welche Pianistin respektive welcher Pianist gefällt Ihnen am besten?
Ich habe keine Lieblinge, egal ob Pianistinnen beziehungsweise Pianisten oder Sängerinnen respektive Sänger. Auch bevorzuge ich keinen Musikstil. Allerdings bekomme ich immer eine Gänsehaut, wenn ich als Zuhörerin bei Künstlerinnen und Künstlern die Begeisterung und Liebe spüre. Hierbei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Pop-Konzert im Hallenstadion, ein Klassikkonzert im KKL, Newcomerinnen und Newcomer auf einer Nebenbühne an einem Festival oder um ein Schülerkonzert handelt. Musik bewegt mich einfach.

Die Ostschweiz gilt gemeinhin ja ein wenig als «brötig». Verhält es sich Ihrer Meinung nach mit der Ostschweizer-Musikszene ähnlich?
Ich denke nicht. Neben der Ostschweiz kenne ich auch die Musikszene im «hippen» Kanton Zürich gut. Musikerinnen und Musiker leben in einer eigenen Welt, egal wo sie ihre Kunst zum Besten geben. Trotz ihrer Unterschiede eint sie die Begeisterung für die Musik. Ich merke bei Kundinnen und Kunden sehr schnell, welchen Musikstil sie ­mögen.

(red/pd)

 

Kontakt
Klavierwerkerin Eveline Sutter
Bankstrasse 6
9244 Niederuzwil
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Festnetz: 071 232 03 28
Mobile: 078 775 67 55
klavierwerkerin.ch

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