Die 60er-Jahre: Toni Vescoli steht auf die Beatles und die Rolling Stones, lässt sich ebenfalls die Haare wachsen. Die Quittung: Seine Unterlippe muss mit 14 Stichen genäht werden. Und – beim ersten Date spricht er seine heutige Gattin Ruthli (90) mit «Frölein» an.
Die Wand mit den gerahmten Autogramm- und Dankeskarten in der Attika-Wohnung von Toni Vescoli in Wald ist einzigartig: Die Rolling Stones in Originalformation mit dem 1969 verstorbenen Brian Jones. Die Beatles mit John Lennon (†1980) schickten eine Postkarte an die «Swiss Beatles» nach St. Moritz, unterschrieben mit «The Real Beatles». Ein Foto von Bob Dylan, erster Musiker, der den Nobelpreis für Literatur erhalten hat, hängt ebenso an der Wand wie auch eine Postkarte von Polo Hofer (†2017): Der Berner Mundartrocker («Kiosk», «Teddybär») gratulierte 2008 dem Pionier des Schweizer Mundartrocks: «Deine neue CD ist der Hammer! Das Beste, was du je gemacht hast.»
Stones oder Beatles?
Für die Teens in den 60er-Jahren gab’s eine Kardinalfrage: Rolling Stones oder Beatles? Beides ging nicht. Für Toni Vescoli schon. «Die Stones hatten ‘meh Dräck’. Diesen Ausdruck hat übrigens nicht Chris von Rohr erfunden, so sprachen wir schon früher. Die Beatles machten hervorragenden Harmonie-Gesang.»
In der Liebe bringen aber die Stones Vescolis nunmehr 60-jährige Beziehung ins Rollen. Nach einer Probe mit den Les Sauterelles steht Ruthli 1964 an der Jukebox. «Sie müend d’ Rolling Stones wähle, Frölein!», sagt Toni. Gehorchte die attraktive 30-Jährige? «Ich sagte: Ich drücke, was ich will und wählte Richard Anthony», erklärt Vescolis Gattin 60 Jahre später.
Prügel auf der Toilette
Im Januar 1966 steigt die Hochzeit. Wenige Wochen zuvor gibt’s für die Verliebten einen Horror-Moment. Vescoli: «Nach einem Konzert in Winterthur wollte ich aufs WC. Dort warteten zwei Typen auf mich und sagten: ‹Wir wissen, wo es einen Coiffeur gibt!›» Der eine hielt ihm darauf die Hände auf dem Rücken zusammen,der andere schlug zu. «Meine Unterlippe musste mit 14 Stichen genäht werden. Über Weihnachten konnte ich mich nur mit einem Röhrchen ernähren.»
Fliegende Stühle am Stones-Gig
Auch in Oberengstringen ZH gab’s wegen der langen Haare brenzlige Szenen. «Wir betraten mit unserem ersten Manager Hans-Ruedi Jaggi, der später die Rolling Stones ins Hallenstadion brachte, ein Festzelt mit 2000 Leuten. 4000 Fäuste schlugen auf die Festbänke, die Leute riefen: ‹Haar abhaue, Haar abhaue!›» Die Flucht ins nahe Auto gelingt haarscharf.
Am 14. April 1967 spielen Vescolis Les Sauterelles beim legendären Stones-Konzert im Hallenstadion. «Das erste Stück der Stones durften wir noch anhören, danach mussten wir die Halle verlassen, da die Polizei nicht mehr für unsere Instrumente garantieren konnte.» Tausende Klappstühle werden zu Kleinholz gemacht.
Im Juli 1968 lassen die Sauterelles ihre Vorbilder Rolling Stones und die Beatles hinter sich. Mit «Heavenly Club» landen sie in der Schweizer Hitparade auf Platz 1. Für sechs Wochen. Im Video-Clip tragen die Musiker weisse Nachthemden, Toni dazu seine bereits legendäre Sonnenbrille.
Nach der Auflösung der Band 1970 – Vescoli lässt in Zeitungen eine Todesanzeige abdrucken – versucht sich der Vollblut-Musiker, der mit seiner Familie von 1971 an auf einem alten Bauernhof im Tösstal wohnt, als Mundartrocker. Jahre vergeblich. «Es hiess immer wieder: Mundart will niemand hören.» 1974 verschafft ihm das Plattenlabel CBS den Durchbruch. «Lueg für dich» heisst die LP mit Hits wie «Susann» oder «Es Pfäffli».
Seit 2008 leben die Vescolis am Dorfrand von Wald. Drei bis vier Monate verbringen sie im Winter auf Teneriffa. «Es herrscht ein sehr gesundes Klima dort, nicht allzu feucht. Und fast nie zu warm.» In Callao Salvaje besitzen die Vescolis zwei Wohnungen mit Sicht aufs Meer. Callao Salvaje bedeutet wilde Steine. «Im übertragenen Sinne Rolling Stones, eine Band, die mich sehr geprägt hat.» Auch mit bald 82 tourt Vescoli immer noch durchs Land. An die 20 Auftritte pro Jahr sind’s – und das in nur acht Monaten.
Vescolis Selbsteinschätzung: «Ich bin weder ein besonders guter Sänger, Gitarrist oder Entertainer – aber mein Gesamtpaket stimmt, es kommt bei den Leuten gut an. Und das ist ein Geschenk für mich.»
Max Kern