Das traurige Schicksal von Meillards Vorgänger

75 Jahre nach Georges Schneider: Loïc Meillard jubelt über WM-Slalom-Gold. (Foto: freshfocus)

75 Jahre musste die Schweiz auf den zweiten Slalom-Weltmeister warten. Der Vorgänger von Loïc Meillard war Georges Schneider. Er wurde 1963 mit einer Gämse verwechselt und erschossen. Der Täter wurde vom Nidwaldner Gericht freigesprochen.

Georges, genannt «le Grand Georges», Schneider, wurde am 11. Juli 1925 in Les Ponts-de-Martel, einem kleinen Dorf im Kanton Neuenburg, geboren. Loïc Meillards Geburtsort ist Neuchâtel, die Hauptstadt des Kantons am Jura. «Le Grand Georges» gehörte Ende der 40er- und in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts zu den erfolgreichsten Schweizer Skifahrern. 1948 startete Schneider an den Olympischen Spielen in St. Moritz, der Athlet vom Ski-Club La Chaux-de-Fonds klassierte sich im Slalom auf Rang 13. Zwei Jahre später war «le Grand Georges» wirklich der Grösste – weltweit. An der WM in Aspen im US-Bundesstaat Colorado holte Schneider im Slalom die Goldmedaille. Keiner konnte damals erahnen, dass die Schweiz 75 Jahre auf den nächsten WM-Triumph der Zickzacker und auf Meillard warten müsste.

Fahnenträger an Olympia
Bei den Olympischen Spielen in Cortina d’Ampezzo, wo Schneider bei der Eröffnungsfeier die Schweizer Fahne trug, belegte er im Slalom Rang 5. Nach seinem Rücktritt 1960 wurde Schneider im August 1962 zum Trainer der Schweizer Ski-Nati ernannt. Daneben führte er mit seinem älteren Bruder Charles das familieneigene Sägewerk in seinem Geburtsort. Er war auch als Maler und Bildhauer bekannt – und führte die «Grand Georges Bar» in La Chaux-de-Fonds. Bis zu seinem tragischen Tod am 10. September 1963 auf der Jagd im Nidwaldner Dorf Oberrickenbach.

Nach dem Prozess, fast ein Jahr nach dem Unfall, schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» in ihrer Ausgabe vom 14. August 1964 unter dem Titel «Unerwarteter Freispruch. Der tödliche Jagdunfall von Georges Schneider»: «Das Nidwaldner Kantonsgericht hat den Mann, der am 10. September 1963 mit einem Schuss aus seiner Jagdflinte den 30-jährigen ehemaligen Schweizer Meister im Slalom und Ski-Nationaltrainer Georges Schneider aus La Chaux-de-Fonds unglücklicherweise erschossen hat, freigesprochen. Dieses Urteil hat in der Nidwaldner Bevölkerung und selbst beim Verteidiger des 24-jährigen Angeklagten grosse Überraschung ausgelöst.»

Hinter verschlossenen TürenDie «NZZ» schrieb weiter: «Die Erwägungen, von denen sich das Gericht leiten liess, sind nicht bekannt, weil Nidwalden als einziger Schweizer Kanton das ganze Strafverfolgungsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführt und auch seine Hauptverhandlungen in Strafsachen hinter geschlossen Türen abhält.»
Wie ist es zum folgenschweren Unfall gekommen? «Der nunmehr freigesprochene Jäger war», so war in der «NZZ» zu lesen, «am Todestag von Georges Schneider zum ersten Mal auf der Jagd und hatte noch keinen einzigen jagdmässigen Schuss abgefeuert, als er am frühen Abend vom 10. September im Gebiet der Stockschwand südlich von Oberrickenbach (…) Georges Schneider begegnete, welcher als Zuschauer zwei andere Nidwaldner Jäger begleitete. Einer von ihnen war der bekannte Skirennfahrer Mathis von der Bannalp.» Der genaue Tathergang: «Die drei Jäger verteilten sich im Gelände, wo vor Kurzem noch zwei Gämsen gesichtet worden waren, während sich Georges Schneider auf einem erhöhten Aussichtspunkt niederliess. Als der Begleiter von Mathis eine der beiden Gämsen in seiner Nähe hatte, legte er zum Schiessen an. Durch eine ungeschickte Bewegung löste sich der Schuss aber vorzeitig, sodass die Gämsen erschrocken die Flucht ergriffen.»

Wildlederjacke – keine Gämse
Schneider musste geglaubt haben, dass die Jagd nach diesem Schuss beendet sei. Er entfernte sich von seinem sicheren Standort und arbeitete sich durch schwer begehbares Unterholz zu seinen Kameraden vor. Hinter einer Graskuppe auf dem Weg Schneiders lag indessen der dritte Jäger mit einem Gewehr im Anschlag. Als er im mannshohen Gestrüpp die braune Wildlederjacke von Schneider vorwärtsbewegen sah und das Knacken der Zweige hörte, meinte er, eine Gämse vor sich zu haben, und drückte ab.»

Sofort tot
Die Kugel vom Kaliber 9,3 drang Schneider wenige Zentimeter unter dem Schulterblatt durch den Hals. Er war sofort tot.
Die Sichtverhältnisse an diesem Unglücksabend waren zur Zeit des zweiten, verhängnisvollen Schusses um 18 Uhr 20 nach den übereinstimmenden Aussagen aller Jäger noch relativ gut.

Max Kern

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