Klausenrennen 2026: Der Geist eines Akt-Modells fährt den Berg hoch

Schnellste Frau der Welt: Hellé Nice beim GP Monza im Jahre 1933. (Foto: zVg)

Hellé Nice zählt zu den faszinierenden Frauen des 20. Jahrhunderts. Als Akt-Modell verdrehte sie Männern den Kopf, als «Bugatti-Queen» fuhr sie ihnen um die Ohren. Auch 1932 beim Klausenrennen.

Der Glarner Regierungsrat erteilte Ende Januar sein Okay: Auch im nächsten Jahr steigt das legendäre Klausenrennen. Beim Oldtimer-Memorial «100 Jahre Klausenrennen» vor drei Jahren war auch ein Bugatti 35B Grand Prix S am Start, ein Achtzylinder mit 2,292 Litern Hubraum und 130 PS. Es wäre eine Randnotiz geblieben, wenn im selben Auto vor neunzig Jahren nicht das schillernde Akt-Modell mit Künstlernamen Hellé Nice über die Klausenpassstrasse gedonnert wäre. Hellé Nice, bekannt als «Bugatti-Queen», war eine Pariser Revuetänzerin und einst schnellste Frau der Welt. Der Journalist im Cabaret «Olympia» in Paris hatte im Dezember 1927 nur Augen für sie: «Das ist Hellé Nice, feminin, verblüffend, völlig nackt tanzend.»
Hellé Nice kommt am 15. Dezember 1900 im französischen Kaff Aunay-sous-Auneau als Mariette Hélène Delangle zur Welt. Ihr Vater, ein gebrechlicher Architekt, verstirbt nur vier Jahre später. Die vife, intelligente Hélène ist in der Schule Klassenbeste. 1915 folgt sie mit Bruder und Schwester ihrer Mutter nach Sainte-Mesme südwestlich von Paris, wo die Witwe einen neuen Mann gefunden hat. 1920 zieht Hélène nach Paris und landet mitten im Taumel der années folles.

Mit Bugatti-Virus infiziert
Sie wird zuerst Akt-Modell für Künstler wie René Carrère. Seine Fotografien sind bei Connaisseurs bis heute ein Renner. Später tritt Hélène als Nackttänzerin auf, unter anderem im «Bataclan» und im «Olympia». Dort kommt sie der Legende nach zu ihrem Künstlernamen «Hellé Nice», weil ein lüsterner Engländer über sie gesagt haben soll: «Elle est nice». Sie lernt den Autorennfahrer Gérard de Courcelles kennen, der 1927 im Autodrome de Linas-Montlhéry tödlich verunglückt. De Courcelles infizierte sie mit dem Bugatti-Virus.
Hellé Nice gewinnt den Actors Cup, was ihr einen Sponsoren-Deal mit der Zigarettenmarke Lucky Strike einträgt. Im Dezember 1929 stellt sie in Montlhéry in einem Bugatti 35 C mit 197,7 km/h einen inoffiziellen Weltrekord für Frauen am Steuer auf. Die Presse nennt sie «La Reine de Vitesse», Königin der Geschwindigkeit. Dank dieser Bestmarke darf sie in den USA in einem Miller-Wagen dirt- tracks-Rennen fahren. Sie wirbt neu auch für Esso. Und bekommt den Spitznamen «Bugatti-Queen».
Innert kürzester Zeit, so die englische «Motor Sport», explodiert in Frankreich ihre Berühmtheit. Ab 1931 sitzt die ehemalige Nackttänzerin bei Grands Prix am Steuer. Sie fährt gegen Grössen wie Louis Chiron, René Dreyfus und Philippe Etancelin. Beim GP von São Paulo 1936 liegt sie, neu in einem Alfa Romeo Monza, in der letzten Runde an dritter Stelle, als sie von der Strecke fliegt. Wahrscheinlich will sie einem auf der Strasse liegenden Strohballen ausweichen und gerät dabei in die Zuschauerränge. Sechs Menschen sterben. Hellé Nice wird aus ihrem offenen Rennwagen geschleudert und von einem unglücklichen Soldaten aufgefangen. Nach drei Tagen im Spital erwacht sie aus ihrem Koma, ihr Lebensretter verstarb noch auf der Unfallstelle.

Böses Gerücht wegen SS-Mann
1937 versucht sie bei den Yacco endurance trials in Montlhéry ein Comeback. Doch Sponsoren und die Chefs der Werkteams zweifeln nach dem Horror-Crash von São Paulo an ihrer Gesundheit. Während des Zweiten Weltkriegs ruht der GP-Betrieb. Hellé Nice kauft 1943 in Nizza eine Villa. Die Stadt ist damals von Hitlers Truppen besetzt. Woher das üble Gerücht stammt, weiss im Nachhinein keiner: Der Französin wird angedichtet, sie habe gegen Kriegsende ein Verhältnis mit einem SS-Mann gehabt. SS ist die Abkürzung für Adolf Hitlers Schutzstaffel. In deutschen Geschichtsarchiven ist aber weder ihr Geburts- noch ihr Künstlername aufgeführt.

Völlig verarmt
Als sie 1949 beim GP von Monte Carlo ihr Comeback auf der Rennstrecke geben will, kommt’s am Vorabend an der Pressekonferenz zum Eklat: Konkurrent Louis Chiron wirft ihr vor den Medien vor, sie sei während des Krieges eine Spionin der Gestapo gewesen. Hellé Nice verlangt umgehend eine Entschuldigung, doch Chiron – er hat als Monegasse ein Heimspiel – weigert sich. Hellé Nices Ruf ist zerstört, Sponsoren und Familie wenden sich von ihr ab.
Ende der fünfziger Jahre kommt’s noch dicker. Ihr Lover Arnaldo Binelli türmt mit ihren letzten Ersparnissen. Am Schluss lebt sie völlig verarmt auf einem Dachboden in Nizza. Laut «Motor Sport» beobachten Nachbarn sie dabei, wie sie Katzen aus Untertassen deren Milch stibitzt. Die «Bugatti-Queen», einst die schnellste Frau der Welt, stirbt am 1. Oktober 1984.

Max Kern

Back To Top