Ravaldo Guerrini: «Der Führerschein ist den Jungen nicht mehr wichtig»

Ravaldo Guerrini ist seit 38 Jahren Fahrlehrer für Auto, Motorrad und Taxi. (Foto: zVg)

Ravaldo Guerrini ist seit 1987 Fahrlehrer und kennt die automobile Entwicklung über Jahrzehnte, auch wie sich die Ausbildung bis zum Fahrausweis geändert hat.

Ab 1. Juli gelten neue Vorschriften für Theorie- und praktische Prüfungen für Autolenker. Was ändert sich?
Ab dem 1. Juli werden Kenntnisse zu Fahrerassistenzsystemen, kurz FAS, fester Bestandteil der theoretischen und praktischen Führerprüfung für PWs und Motorräder.

Was ändert sich konkret?
In der Basistheorieprüfung wird künftig geprüft, ob die Prüfungskandidaten zwischen Fahrerassistenzsystemen und Automatisierungssystemen unterscheiden können. Sie müssen die drei Wirkweisen der Systeme verstehen: «informierend und warnend», «kontinuierlich unterstützend» und «temporär eingreifend». Die praktische Führerprüfung wird so angepasst, dass die zu prüfende Person die im Prüfungsfahrzeug verbauten Fahrerassistenzsysteme kennt, korrekt anwendet und deren Grenzen und Risiken kennt.

Es geht um Assistenzsysteme. Sind diese nicht von Fahrzeugtyp zu Fahrzeugtyp unterschiedlich?
Wichtig ist, dass sich der Fahrzeuglenker über die verbauten Assistenzsysteme informiert und diese richtig nutzt, denn moderne FAS sind in der Lage, bis zu 50 Prozent aller schweren Unfälle zu verhindern.

Kommen solche Assistenzsysteme in der gesamten Ausbildung, von Fahrstunden bis zur Prüfung, bereits zum Einsatz?
Die Neuerung zieht für Fahrschulen eine Anpassung ihrer Lehrpläne nach sich. Es ist wichtig, dass Fahrlehrer ihre Fahrschüler gezielt auf den Umgang mit den gängigsten Assistenzsystemen vorbereiten. Dazu gehört auch, die Bedeutung der Selbstverantwortung der fahrzeugführenden Person zu betonen. Somit wird bereits in der Grundschulung der Fahrausbildung auf das Vorhandensein von FAS hingewiesen.

Früher galt es, die Bedienung von Kupplung, Gas, Bremse und Schaltung zu erlernen. Heute unterstützen viele «Helferlein» im Verkehr. Macht das in der Ausbildung Sinn?
Seit dem 1. Februar 2019 dürfen Personen, die die Fahrprüfung auf einem Automatikfahrzeug abgelegt haben, auch Fahrzeuge mit Schaltgetriebe fahren. Während früher die Fahrzeugbedienung und Führung den Hauptbestandteil der Fahrausbildung ausmachte, wird heute mehr Ausbildungszeit in Verkehrssinnbildung, Gefahrenlehre und Assistenzsysteme investiert.

Wie beurteilen Sie den Wandel vom manuellen Schaltgetriebe über Automaten bis zu Assistenzsystemen?
Das war und ist eine logische Weiterentwicklung, die mit der vorhandenen neuen Technik umgesetzt wurde. Niemand würde heute die Wäsche von Hand waschen, da es ja automatisch und zuverlässig mit der Waschmaschine geht. So gesehen hat die Elektrifizierung das Schalten überflüssig gemacht.

Verleiten Assistenzsysteme nicht zu weniger Aufmerksamkeit bei der Erfassung des Verkehrs und Umfelds im eigenen Fahrzeug?
Nicht unbedingt, doch verleiten FAS bei unsachgemässem Einsatz und fehlender Aufmerksamkeit und Kenntnis zu Fehlverhalten. Es ist deshalb unerlässlich, sich immer im Klaren zu sein, dass FAS bis heute nur eine Hilfe und ein Assistent sind, und kein selbst denkendes oder fahrendes Fahrzeug.

Wie haben sich Jugendliche, welche das Autofahren erlernen möchten, in den letzten Jahren verändert?
In den beinahe 38 Jahren meiner Berufsausübung hat sich auch die Gesellschaft stark verändert. Die individuelle Mobilität hat nicht mehr denselben Stellenwert wie zu Beginn meiner Fahrlehrertätigkeit. Zudem gibt es in Bezug auf das Autofahrenlernen einen grossen Unterschied zwischen Stadt und Land. Der Führerschein ist jungen Menschen nicht mehr so wichtig. Sie nutzen andere Formen der Mobilität.

Sven Gasser

Back To Top