Fin (8) macht grosse Fortschritte

Der Oberdürntner Fin ist mit seinem Dreirad auf einer Tour. (Foto: zVg)

Fin Grossenbacher aus Oberdürnten ist acht Jahre alt: Er kann noch nicht sprechen und lesen – auch nicht selbstständig essen und trinken. An schlechten Tagen hat er bis zu 20 Epilepsie-Anfälle. Die Eltern kämpfen weiter. Rund um die Uhr. Spezialtherapien müssen sie aber aus dem eigenen Sack berappen – Krankenkasse und IV helfen nicht. Das kostet bis zu 30 000 Franken pro Jahr.

Es ist ruhig im Reiheneinfamilienhaus von Simon Grossenbacher. Kurz nach 13 Uhr, vor dem Haus liegt der erste Schnee. Der achtjährige Fin, der am Morgen die HPS Fehraltorf besuchte, ist gerade mit seiner Assistentin Lysanne in der Hippotherapie – auf dem Pferd sitzend wird Fins Rumpfstabilität trainiert. Der Vater erzählt beim Besuch der «Obersee Nachrichten»: «Fin hatte eine schwierige Nacht. Er schlief daher in meinem Bett. Er erlitt drei grosse epileptische Anfälle.» Leider keine aussergewöhnliche Situation für den Kleinen. «In schlechten Zeiten hat er zwanzig Anfälle innert 24 Stunden», sagt sein Vater.

«Fin hatte Tränen in den Augen. Es war klar, dass er nicht wusste, wie ihm geschah.»

Fin Grossenbacher kommt am 21. Oktober 2015 als gesunder Junge zur Welt. Er ist ein Wunschkind. Denn Mutter Tanja hatte zuvor drei Fehlgeburten zu verkraften. Doch schon bald kommen bei den Eltern erste Zweifel über die Gesundheit ihres Babys auf. Tanja in einem Bericht der «Obersee Nachrichten» vom März 2019: «Fin war vom ersten Tag an nie wirklich hungrig und seine Körperspannung war nicht so wie bei anderen Kindern.» Die Ärzte beruhigen die besorgten Eltern und meinen, dass halt nicht alle Kinder gleich seien. Doch fünf Monate nach der Geburt hat Fin plötzlich merkwürdige Verkrampfungen. Seine Arme strecken sich nach oben und sein Kopf macht gleichzeitig Nickbewegungen. Simon: «Fin hatte Tränen in den Augen. Es war klar, dass er nicht wusste, wie ihm geschah.» Am Ostersonntag 2016 nehmen die Eltern einen weiteren Anfall ihres Babys mit dem Handy auf und fahren mit den Aufnahmen ins Kinderspital Zürich.

Eine Welt brach zusammen
Dort erhalten die Grossenbachers die belastende Diagnose West-Syndrom. Das ist eine nach seinem Erstbeschreiber William James West (1793 – 1848) benannte Form seltener und schwer zu behandelnder generalisierter maligner Epilepsie, die West bei seinem Sohn kurz nach der Geburt am 13. Februar 1840 beobachtet hatte. Das West-Syndrom tritt bei Säuglingen in der Regel zwischen dem dritten und zwölften Monat nach der Geburt auf. Mutter Tanja: «Für uns ist eine Welt zusammengebrochen.» Später werden beim Kleinen auch noch zwei Gen-Defekte festgestellt. Fin wird nach der Diagnose West-Syndrom mit Medikamenten behandelt. Die epileptischen Anfälle können zu diesem Zeitpunkt so zwar unter Kontrolle gebracht werden, doch sie machen Fin teilnahmslos. Und er verweigert, ausgelöst durch die orale Verabreichung der Medikamente, jegliche Nahrungszufuhr. Er bekommt eine Nasensonde und erleidet dadurch tägliches mehrmaliges Erbrechen. Ende August 2016 bekommt der kleine Patient deshalb eine Magensonde, in der Hoffnung, dass das Erbrechen dadurch gestoppt wird. Entlastung erfährt der kleine Fin erst im Frühling 2017, als er mit seinen Eltern im österreichischen Graz eine Esslernschule besuchen kann. Er beginnt langsam zu essen und hört mit Erbrechen auf. Durch die «First-Step»-Methode von Shaj Silberbusch aus Israel lernt Fin nun auch seinen Körper besser kennen. Der kleine Mann hat sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht viel bewegt und lernt nun die Abläufe in einem täglichen sechsstündigen Training kennen.  Auch auf eine Delphin-Therapie in Florida spricht Fin an. Die junge Familie war also schon oft im Ausland unterwegs und hat dabei grossartige Therapiemöglichkeiten kennengelernt. In der Schweiz darf Fin wöchentlich zur Hippotherapie und auch ein Therapiehund kommt manchmal zu Besuch.

Was gibt es Neues aus dem Leben des jungen Buben? Fin wird im Februar 2024 seine nächste Delphin-Therapie in Key Largo, Florida, besuchen, in der grossen Hoffnung, dass er, wie die letzten beiden Male, wieder einige Monate anfallsfrei sein darf. Dann wird Fin auch zwei Jahre «sondenfrei» feieren – die Magensonde ist raus und der zarte Junge nimmt seine Nahrung nun gänzlich oral zu sich. «Es ist nicht immer einfach, oft gibt es Zeiten, in denen es nicht so gut läuft, aber wir möchten Fin diesen ‹Sinn› nicht mehr nehmen und bleiben auch in schwierigen Zeiten stark und positiv», sagt sein Vater. Mittlerweile kann Fin ganz allein vom Liegen auf dem Rücken ins Sitzen hochkommen und auch, geführt an seinen Händen, laufen. Im Sommer 2024 könnte auch noch ein weiterer Abstecher in die Slowakei anstehen zur zweiwöchigen ADELI-Therapie. Hier sind die Erfolge körperlich und motorisch meistens erst Wochen oder Monate später spürbar. Die ganzen Fortschritte lassen sich in den Dokumentarfilmen über Fin (https://www.youtube.com/@finflurin/videos sehr gut veranschaulichen.

Auch die Schule besucht Fin und ist seit diesem Sommer in der 2. Klasse der HPS in Fehraltorf. Da geht Fin zwei ganze und drei halbe Tage zur Schule. Neben seinen Therapien wie Ergo, Physio und Logopädie steht auch Schwimmen, viel Sensorisches und Spielerisches auf dem Programm. Fin liebt es, zur Schule zu gehen, er ist gerne unter Kindern und ihm gefällt es, wenn etwas läuft.

Ein bisschen zu viel für alle
Seit drei Jahren leben die Eltern getrennt. Simon Grossenbacher: «Das ist mitunter der ganzen Situation geschuldet. Es war für alle ein bisschen viel.» Die Betreuung von Fin teilen sich die beiden Eltern in etwa zu gleichen Teilen. Simon Grossenbacher: «Es geht um Fin. Wir beide wollen zusammen erreichen, dass Fin möglichst selbstständig durchs Leben gehen darf.» Der Vater ist neu Vorstandsmitglied von KMSK, dem Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten. Mit im Vorstand sitzt auch der weltberühmte Herzchirurg Thierry Carrel.

Schlussfrage: Woher nimmt der Vater die Kraft für die Rundumbetreuung seines beeinträchtigten Sohnes? «Im Sommer bin ich viel in den Bergen. Und Fin gibt mir sehr viel Kraft.»

Max Kern

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