«Musik vom Land» spielt auf höchstem Niveau

Das Blasorchester Siebnen trainiert derzeit für die EM für sinfonische Blasorchester. Aufnahme von der letzten EM in Brüssel 2018. (Fotos: zVg)

Das Blasorchester Siebnen vertritt die Schweiz an der «European Championship for Wind Orchestras» in Amiens (Frankreich).

Der Märchler Dorfverein hat sich in den letzten Jahrzehnten einen festen Platz in der Schweizer Musikszene erarbeitet und wird einmal mehr mit der Teilnahme an der Europameisterschaft für sinfonische Blasorchester belohnt. Es ist Mitte Januar und das Blasorchester Siebnen (BOS) trifft sich zum ersten Mal nach der Weihnachtspause gespannt und mit Freude zur Gesamtprobe. Es gilt einen Musikwettbewerb auf internationalem Niveau vorzubereiten – die Europameisterschaft der sinfonischen Blasorchester 6. und 7. Mai in Amiens, Frankreich. Mit Spannung wird so oder so geübt werden in den nächsten Monaten, da das Probelokal über dem Hochspannungsverteiler des Kraftwerks Wägital liegt. Das Blasorchester Siebnen verfügt über keine eigenen Räumlichkeiten, wie dies für vergleichbare Orchester üblich ist. Ein Probelokal für 80 und mehr Instrumentalisten und viel Schlagwerk zu finden ist schwierig. Das BOS ist mehr als dankbar, dass die AG Kraftwerk Wägital diesen Raum dem Blasorchester und der Jugendmusik seit Jahrzehnten zur Verfügung stellt.

Doch wie kam das BOS zu dieser Teilnahme? Für diesen Wettbewerb kann man sich nicht anmelden, man muss nominiert werden – und die Nomination für die Schweiz läuft über den Titel des Schweizer Meisters. Dieser wird wiederum vom Schweizer Blasmusikverband (SBV) am Eidg. Musikfest an den erstplatzierten Verein der höchsten Stärkeklasse vergeben. 2016 hatte sich das Blasorchester Siebnen in Montreux gegen 14 Mitbewerber in der «Höchstklasse Harmonie» durchgesetzt und wurde Schweizer Meister. Doch dieser – für eine «Musik vom Land» aussergewöhnliche – Erfolg hat eine lange Vorgeschichte.

(K)ein Märchen

Die Geschichte des BOS liest sich fast wie ein Märchen. Gegründet 1898 als «Musikverein Alpenrösli Siebnen», entwickelt sich der Verein über die Jahrzehnte zu einem sinfonischen Blasorchester mit rund 80 Mitgliedern. In den Anfängen des Vereines wurde neben Musik auch noch Theater gespielt. 1948 wurde zum 50-Jahr-Jubiläum zusätzlich der Verein «Knaben­musik-Schule Siebnen» gegründet – die heutige Jugendmusik Siebnen (JMS), das Jugendblasorchester der March. Mit diesem Schritt wurde der Grundstein für eine langfristige Nachwuchsförderung für die ganze Region gelegt. Anfang 1973 übernahm Tony Kurmann das Amt des Dirigenten. Gemeinsam mit engagierten Mitgliedern reformierte er die Strukturen, aber auch die ideelle und musikalische Ausrichtung. Mit internen Registerleitern entwickelte sich das Orchester Schritt für Schritt weiter. 1980 trat man erstmals an einem Kant. Musikfest in der Höchstklasse an. Seit Lausanne 1981 besuchte das BOS nahezu alle Eidgenössischen Musikfeste in der Höchstklasse – und konnte immer wieder mit Spitzenplätzen aufwarten.

BOS international
Ab den 80er-Jahren begann auch die Zeit der internationalen Wettbewerbe und der Galakonzerte im nahen Ausland und der Schweiz. 1998 konzertierte das BOS erstmals mit der Stadtmusik Zürich in der Tonhalle Zürich, 2005 dann zusammen mit dem Rundfunkblasorchester Leipzig im Kultur- und Kongresszentrum Luzern KKL. 1985 und 2009 erfolgte die Einladung zur Teilnahme am «World Music Contest» (WMC) in Kerkrade (Holland), der inoffiziellen «Weltmeisterschaft» der sinfonischen Blasorchester. Als Höhepunkt der Vereinsgeschichte darf sicher die Teilnahme am ältesten und weltweit renommiertesten aller Blasmusikwettbewerbe, dem «Certamen International de Bandas de Musica» (CIBM) in Valencia (Spanien) von 2004 gelten. Das BOS erlangte in der Arena «Plaza de Toros» mit einer sehr hohen Punktzahl einen 1. Preis. 2011 übernahm Blaise Hériter das Orchester vom langjährigen Dirigenten Tony Kurmann († 2022) und durfte 2016 am Eidgenössischem Musikfest in Monteux tatsächlich den Schweizer-Meister-Titel erreichen.

Friedlicher Wettstreit
Mit dem Titel öffneten sich einmal mehr die internationalen Türen und das BOS reiste 2018 erstmals zur «European Championship for Wind Orchestras» (ECWO) nach Brüssel. Bereits in Montreux war zum ersten Mal ein Werk des zeitgenössischen Komponisten José Suñer-Oriola (Spanien) gespielt worden. Dies war der Anfang einer bis heute anhaltenden Freundschaft zu einem grossartigen Komponisten. Unvergesslich bleibt der magische Moment, als das Selbstwahlstück «El Jardin de las Hespérides» nach einem grossartigen Vortrag vom Publikum mit frenetischem Applaus und stehenden Ovationen gefeiert wurde. Mit diesem einmaligen Erlebnis war es naheliegend, dass auch das Selbstwahlstück für die ECWO 2018 von José Suñer-Oriola sein sollte – am liebsten eine Neukomposition. Mit «Soulful Stones» hat Suñer-Oriola im Auftrag des BOS eine nahezu 30-minütige Hommage an die Bauwerke des weltbekannten katalonischen Stararchitekten Antoni Gaudí geschaffen. Die Welt-Uraufführung erlebte «Soulful Stones» in Anwesenheit des Komponisten am Pfingstsonntag 2018 im Tischmacherhof in Galgenen.

Doch wie würden Jury und Publikum in Brüssel auf das Werk reagieren? Mit Spannung wurde nach dem letzten Ton die Reaktion des Publikums erwartet. Die Erleichterung war riesig, als das Auditorium tosend applaudierte. Die Rangverkündigung kam einem Krimi gleich. Wie üblich wurden die Resultate vom Letzten zum Ersten verlesen. Der Reihe nach wurden die Orchester aufgerufen und deren Punktzahl bekannt gegeben. Nach dem Dänemark als fünftplatziertes Land aufgerufen wurde, waren die Erwartungen schon mehr als übertroffen. Dann erschien der Name «Blasorchester Siebnen – Switzerland 95.33 Points». Das BOS erreichte – mit einem Abstand von nur 17 Hundertsteln zum drittplatzierten Belgien – den hervorragenden vierten Rang.

Armin Müller

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