Die Fahrenden stehen still

Es gibt mit Sicherheit schönere und ruhigere Orte, um zu übersommern. Fahrende aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz haben ihre Camper seit knapp drei Wochen in Benken SG direkt neben der Autobahn parkiert. Toi Toi inbegriffen. Der Pächter des Hofes ist mit den Fremden zufrieden.

Wer auf der Autobahn A15 von Reichenburg kommend Richtung Tuggen fährt, wird seit knapp drei Wochen bei einem sonst einsamen Bauernhof abgelenkt: Unmittelbar neben der Autobahn stehen 14 Wohnwagen mit ihren Zugwagen. Auch der eine oder andere Luxus-Schlitten der Marke Mercedes ist vor dem Hof auszumachen. Geht da alles mit rechten Dingen zu und her? Die «Obersee Nachrichten» nehmen am 7. Juni einen Augenschein vor Ort.

Von Tuggen aus geht es zuerst auf der Tödistrasse Richtung Osten, bevor neben der Autobahn ein Feldweg namens Chlettenhof abzweigt und der A15 gegen Süden folgt. Nach ein paar Hundert Metern auf dem staubigen Weg steht der Beobachter vor der Wohnwagen-Siedlung. Drei kleine Mädchen mit Barbie-Puppen in den Händen tummeln sich vor den Campern. Sie grüssen den Fremden mit «Bon Jour». Sonst ist keine Menschenseele zu sehen. Vor dem Stall grasen ein paar Kühe. Wir klingeln beim Klettenseehof 1, dem Bauernhof. Niemand macht auf. Kein Wunder, wie sich später herausstellt, es wohnt auch niemand mehr dort. Der ehemalige Besitzer Kurt Schnider erschoss sich im April 2010 – angeblich wegen eines Jahre dauernden Streites mit der Ortsgemeinde Benken. Im Abschiedsbrief schrieb der Bauer: «Nun heisst es schweren Herzens Abschied nehmen. Die jahrelange Hetzkampagne gegen mich hat tiefe Spuren hinterlassen.» Kurz vor seinem Tod überschreibt Schnider den Pachtvertrag auf seinen Hofpartner Niklaus Fischli.

Zurück in die Gegenwart. Plötzlich taucht vor dem Klettenseehof eine Mittdreissigerin auf. Sie steigt aus ihrem Wohnwagen. Auch sie spricht französisch. Borady sei ihr Name. «Wir kommen schon ein paar Jahre hierher», erzählt sie, «immer für drei bis vier Wochen.» Fotografieren lassen will sie sich nicht. «Da hätte mein Mann keine Freude.» Gehören die Gäste auf dem Klettenseehof den Jenischen, Sinti oder den fahrenden Roma an? Borady antwortet: «Wir sind das fahrende Volk.» Die Gäste sind Franzosen, einige besitzen offenbar die Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz.

Inzwischen, es ist 12 Uhr Mittags, Pächter Niklaus Fischli fährt auf dem Areal vor. «Ich bin jeden Tag hier, um das Vieh zu betreuen.» Der 75-jährige aus Benken ist es auch, der das Land auf dem Klettenseehof den Fahrenden vermietet. «Sie müssen 200 Franken im Voraus zahlen. Und nach der Ankunft 1000 Franken.» Für Strom, Wasser und das WC-Häuschen der Marke TOI TOI müssen die Fahrenden selbst aufkommen. «Die Fahrenden sind keine Unmenschen», sagt der SVP-Sympathisant, «aber man muss sie schon im Auge haben. Sie müssen bei mir immer aufräumen, das überwache ich streng. Sie dürfen keinen Güsel rumliegen lassen. Vor ein paar Jahren lagen mal ein paar Plastikbecherli rum. Das müssen dann die ‹Wiiber› machen.» Und was machen übrigens die Männer der Fahrenden? Zu sehen sind keine. Fischli: «Sie malen Fensterläden, erneuern Fassaden und Steinplätze. Sie kommen alle abends um fünf Uhr in Malerhosen zurück.»

Max Kern

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