«Surviving Bokator» kommt in Kinos in der Region

Bokator ist eine sehr alte Kampfkunst, die in Kambodscha dazu beiträgt, die kulturelle Identität der Nation nach dem Völkermord wieder aufzubauen. (Foto: zVg)

Sandra Leuba ist in Jona aufgewachsen, schmiss irgendwann alles hin und wanderte nach Kanada aus. Später drehte sie einen Film in Kambodscha, der von der internationalen Kritik gefeiert wird. Ihr Engagement gegen die Folgen des Geno­zids bemerkte auch die UNESCO. Nun kommt der Streifen in die Kinos der Region.

«Surviving Bokator» wurde mittlerweile an rund 40 Festivals weltweit gezeigt und hat fast 20 Auszeichnungen erhalten, darunter FICTS – Sports Film Festival – International Olympic Committee (Mention D’Honneur), Bangkok BKK Festival (Best Sports Doc) und der Las Vegas Film Award (Winner Award of Excellence – Best Producer). Bokator? Das gilt es wohl zunächst zu klären: «Bokator ist eine Kampfkunst aus dem ersten Jahrhundert. Sie wurde auch vom Militär benutzt, als Kambodscha das ‹Khmer Empire› hatte und die Gegend von Südostasien und Südchina beherrschte», verdeutlicht Filmproduzentin Sandra Leuba gegenüber den «Obersee Nachrichten».

Von der Bank zum Kampfschwert
Ziel ist es, die geistige und körperliche Stärke und Disziplin seiner Praktizierenden durch Selbstverteidigungstechniken und eine Philosophie der Gewaltlosigkeit zu entwickeln. Bei der Ausbildung von Bokator geht es nicht nur um körperliche Techniken und Fähigkeiten, sondern auch um mentale Disziplinen, etwa wie man die Natur respektiert und sich in der Gesellschaft mit Anstand verhält. Bokator zeichnet sich durch Nahkämpfe und den Einsatz von Waffen aus. Bokator verwendet eine vielfältige Palette von Ellbogen- und Knieschlägen, Schienbeintritten, Submissionen und Bodenkämpfen. Zu den im Bokator verwendeten Waffen gehören der Bambusstab, kurze Stöcke, das Schwert und der Lotusstab. «Ich wollte eigentlich immer mal nach Asien zum Reisen», schmunzelt die Filmproduzentin. Nach Schule und Ausbildung bei einer Bank in Rapperswil zog es Sandra Leuba zunächst nach St. Gallen. Die Zeichen standen auf Karriere, doch das Herz wollte etwas anderes. Kanada lautete der neue Plan. Ursprünglich für zwei Jahre. Daraus wurden mittlerweile 20 Jahre – inklusive privatem Glück mit Mark Bochsler, dem Regisseur des Films. «Ich arbeite immer noch im Finanzbereich, zurzeit bei der Royal Bank of Canada, der grössten kanadischen Bank und weltweit eine der grössten Banken. Zudem bin ich Präsidentin der Schweizerisch-Kanadischen Handelskammer in Toronto», so Leuba. Und eben Filmproduzentin. Dabei hätte es auch anders kommen können. Auf der Liste möglicher Filmprojekte stand unter anderem Vietnam. Ein Film über die Agent-Orange-Kinder wäre ebenfalls bemerkenswert gewesen. Wie auch ein möglicher Film über die Lebensbedrohung der Orang-Utans auf Borneo, infolge der westlichen Gier nach Palmöl. Aber es wurde Kambodscha. «Ich wusste ehrlich gesagt fast nichts, was in Kambodscha passiert war. Erst durch die Recherche und den Film habe ich viel über die unglaublich schrecklichen Ereignisse gelernt», erinnert sich Sandra Leuba. Gemeint ist nichts Geringeres als der Völkermord in den Jahren 1975 bis 1979 unter der Herrschaft der Roten Khmer. Die Steinzeit-Kommunisten riefen bei ihrem Einzug in der Hauptstadt Phnom Penh die «Stunde Null» aus. Was davor war, existierte nicht mehr. Wer als intellektuell galt, war praktisch des Todes. Es reichte, eine Brille zu tragen, um als «Feind des Volkes» eingestuft zu werden – schliesslich hätte man ja belesener respektive schlauer als die neuen Machthaber sein können. Nicht von Arbeit gezeichnete Hände deuteten auf Intellekt und/oder eine Bedeutungslosigkeit für den neuen Arbeiter- und Bauernstaat hin. Das Beherrschen einer Fremdsprache galt ebenso als beinahe sicheres Todesurteil auf den sogenannten «Killing Fields». Selbstredend galten «Kampfsportler» besonders bedrohlich für das Regime.

Ein Viertel der Bevölkerung getötet
Nach heutigen Schätzungen kamen damals zwischen 750 000 und mehr als 2 Millionen Kambodschaner ums Leben. Bei einer Gesamtbevölkerung von ungefähr 8 Millionen starb somit rund ein Viertel der Gesellschaft. Fast die gesamte intellektuelle Elite des Landes wurde damals ausgelöscht. Mit weitreichenden Konsequenzen für das Land bis in die heutige Zeit. Ein andauerndes nationales Trauma? Ja – aber: «Die jungen Kambodschaner sind sehr zukunftsorientiert und zielstrebig. Sie möchten das moderne Leben, das wir geniessen. Viele von ihnen lernen erst in den späten Jugendjahren von den Roten Khmer und dem Genozid», berichtet Sandra Leuba. Von der älteren Generation leiden aber noch heute viele unter schmerzhaften psychischen Symptomen. Sie reden nicht von der Vergangenheit, auch nicht von der Zeit vor den Roten Khmer, wo die diversen Kulturen ein aktiver Bestandteil des Lebens waren. «Beim Filmen haben wir dies sehr gespürt, wenn wir über die Vergangenheit gefragt haben. Deshalb kannten viele Jungen die diversen Traditionen gar nicht mehr. So auch Bokator. Als wir im Jahr 2010 mit dem Filmen begannen, kannte fast niemand Bokator», so Leuba. Mittlerweile hat sich das geändert.

Adelung durch die UNESCO
Bokator wurde am 29. November 2022 auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Ein langer und schwieriger Prozess, wie Leuba berichtet. Im Ganzen über zehn Jahre mit einigen Absagen, da es für die UNESCO wichtig war, die konstante Weiterverbreitung von Bokator im Land zu spüren. «Um spezifisches Kulturerbe am Leben zu erhalten, muss es für die Gemeinschaft relevant sein und von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Genau was der Film ‹Surviving Bokator› dokumentiert», fasst Sandra Leuba zusammen. Der Film war für die UNESCO somit ein Beweismittel. «Diese Aussage der UNESCO war für mich sehr bedeutend, da mir die Wichtigkeit des Films bezüglich des Wiederbelebens von Bokator vorher nicht ganz so bewusst war», so Leuba.

Der Film «Surviving Bokator» feiert am 1. Juli Schweizer Premiere im Kino Leuzinger in Rapperswil, am 2. Juli im Schlosskino in Frauenfeld, am 4. Juli in Uznach und am 6. Juli im Schloss Cinema Wädenswil. Produzentin Sandra Leuba und Regisseur Mark Bochsler werden jeweils anwesend sein und freuen sich auf den Austausch mit dem Publikum. Auch werden zwei Bokator Masters eine Live-Bokator-Aufführung am 1. und 2. Juli zeigen. Mehr Information unter www.fb.com/bokatorfilm.

Holger Franke

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