Mit Segen des Vatikans: Nach 30 Jahren kehrte Eva-Maria dem Kloster den Rücken

Die Wahl-Rütnerin Eva-Maria Zwyer hat ihre nicht alltägliche Lebensgeschichte in einer Autobiografie niedergeschrieben. (Foto: Max Kern)

Das Alterszentrum Breitenhof in Rüti hat eine neue Bewohnerin mit bewegter Geschichte: Eva-Maria Zwyer (79) erhielt einst vom Vatikan den Segen, nach drei Jahrzehnten hinter Klostermauern ihre Gelübde zu brechen.

«Ich habe mich einigermassen eingelebt», sagt Frau Zwyer zu den «Obersee Nachrichten», «es geht mir gut. Und Schnurrli ist auch bei mir.» Schnurrli heisst ihre Katze. Die beiden wohnen neu im Altersheim Breitenhof in Rüti. Einen viel grösseren Einschnitt in ihrem Leben erlebte die damalige Ordensfrau 1994 – nach über 30 Jahren trat sie aus der Klostergemeinschaft aus. Die nicht alltägliche Geschichte schrieb sie im Buch «Koste es, was es wolle» nieder. Eva-Maria Zwyer kommt im Kriegswinter 1944 in Emmenbrücke LU zur Welt. Nicht nur zur Freude der zwei Jahre älteren Schwester. Diese wird bald schwer krank, wahrscheinlich, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Von da an ist Eva (der zweite Vorname kommt erst später dazu) meist im Weg. «Wir können dich jetzt nicht brauchen, du störst!» Im Buch schreibt sie darüber: «(…) unerwünschter Störfaktor sein. Ängste, die mich bis heute immer wieder einholen und wohl in jener Zeit ihre Wurzel haben.» Und sie fragt sich: «War ich böser als die Schwester?» Oft wird sie von ihren Eltern ins «Schäm-di-Eggli» geschickt.

Getrübtes Verhältnis
Ihr Verhältnis zu Männern wird schon als Kleinkind getrübt. Ein fremder Mann fragt sie auf dem Weg in den Kindergarten: «Mädchen, willst du eine Schokolade?» Im freiwilligen Landdienst gibts ein weiteres einschneidendes Erlebnis. «Ein Ereignis, das meine Beziehung zu Männern nachhaltig erschwerte. Eines Abends kam es zu einer Beinahe-Vergewaltigung. Nach langer, erbitterter Gegenwehr gelang dem Knecht ein Zungenkuss. Noch heute ekelt es mich, wenn ich daran denke.» Als Wölfli-Führerin in der Pfadi wird Eva zweimal aus der Abteilung gemobbt. «Immer öfter tauchte die Frage auf, ob Gott mich nicht in einem Kloster wolle.» In einem Gedicht fragt Eva: «Wer stellt die Weichen auf dem Lebensweg? Wo ist der Wille, der das Ziel im Auge behält? Bei mir, bei dir, bei Gott?»

Der Weg ins Kloster
Kurz nach ihrem 20. Geburtstag fällt die definitive Entscheidung. «Ich kapitulierte und entschied, ins Kloster zu gehen. Der Wille Gottes oder das, was ich dafür hielt, hatte gesiegt. Heute ist mir klar, dass der unbewusste, bisher unerfüllte Wunsch nach der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft eine wesentliche Rolle in diesem Ent­-scheid gespielt haben muss, nach einer Gemeinschaft, die Geborgenheit schenkt.» Beim Eintritt ins Kloster in Freiburg wird das Wort «mein» gestrichen. Alles ist «unser», auch Zahnbürste, Wäschestücke oder Schuhe. Und als die Klosterkandidatin Eva «unsere Brille» fallen lässt und das ältere Stück zerbricht, wird sie bestraft.

Es muss Satisfaktion (Genugtuung) geleistet werden. «Konkret hatte ich während einer Mahlzeit mit der zerbrochenen Brille in der Hand in der Mitte des Refektoriums (Esszimmer, die Red.) zu knien und mich anzuklagen. Ein erster Schock, der nachhaltig wirkte.» Als Eva-Maria (mittlerweile war ihr Name geändert worden) im Nachtkästchen die Haarbürste mit den Borsten nach unten verstaut, wird sie als Strafe zur «Bodensuppe» verdonnert – die Suppe muss dabei in der Mitte des Esszimmers auf dem Boden kniend gelöffelt werden. Nach und nach kommt Eva-Maria zur Einsicht, dass «meine Stimme, meine Haltung, meine Art zu sein, durch und durch stolz, überheblich und nicht in Ordnung waren. Um demütiger zu werden, (…) klagte ich mich selbst kleiner Fehler an und bat um ‹Bussen›, erniedrigte mich selbst in der Hoffnung, so in den Augen der Gemeinschaft und vor Gott bestehen zu können.»

Nach der ewigen Profess (dem Versprechen, lebenslang die Gelübde zu halten) arbeitet sie als Katechetin. Bald schon in Kenia. «Im hintersten Busch.»

Platonische Liebe in Afrika
In Afrika wächst, oh Gott, die Liebe zu einem Pater. «Wir liebten uns zwar nur platonisch – aber diese Liebe war das Schönste und Kostbarste, was mir je passiert ist.» Zu den «Obersee Nachrichten» sagt Eva-Maria: «Wir hatten zusammen geschmust, aber keinen Sex. Immer, wenn es hätte überborden können, haben wir uns gegenseitig gebremst.» Doch die Oberin verpetzt Eva-Maria in Rom. Ihr platonischer Freund erkrankt kurz nach ihrer Abreise und verstirbt, ohne dass sie sich wiedergesehen haben. In Portugal, wo sie einen Sprachaufenthalt macht, kommen erstmals Selbstmordgedanken auf. Ihr Körper rebelliert. Im Krankenhaus wird ihr bewusst, dass sie sich vor der Rückkehr ins Kloster fürchtet. Nach über 30 Jahren wagt sie schliesslich den grössten Einschnitt ihres Lebens. «Wer aus dem Kloster austritt und die Gelübde bricht, verrät Gott und die Gemeinschaft, ist eine Abtrünnige. So war es uns eingetrichtert worden.» Die Oberen und die zuständige Instanz in Rom erteilen überraschend schnell den Dispens von den Gelübden. Eva-Maria: «Ich war selbst erstaunt und habe daraus geschlossen, dass sie froh waren über meinen Abgang. Ich sagte klar: Diese Art des Gehorsams kann ich nicht mehr leisten.»

Der Weg ins Oberland
Durch eine «Fügung» kommt sie im Frühling 1994 kurz vor dem Klosteraustritt zu einer Glaubensvertiefungswoche ins Zürcher Oberland. Sie darf eine Wohnung in einem leer stehenden ehemaligen Pfarrhaus beziehen. Sie arbeitet bis zu ihrer Pensionierung in dieser Pfarrei als Pastoralassistentin.

Max Kern

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