Die letzte Bäretswiler Hexe

So lief im Mittelalter das erzwungene Geständnis: Eine Frau wird gestreckt. Foto: Zentralbibliothek Zürich

Nach der Pest vom Sommer 1629 ging’s in den Betten im Zürcher Oberland hoch zu und her: Fünf Jahre nach der verheerenden Seuche waren in Bäretswil 27 Prozent der Bevölkerung jünger als fünf Jahre alt. Und eine Bäretswilerin wurde 1640 wegen «Huren­lebens» geköpft. Ein Stück Sittengeschichte aus dem Oberland.

Von Juni bis August 1629 schlug im Oberland die Pest, auch der Schwarze Tod genannt, unerbärmlich zu. Am Anfang der verheerenden Seuche standen Ratten, sie übertrugen die hochansteckende Krankheit auf Flöhe. Durch Flohbisse wurden die Menschen infiziert. In Bäretswil und seinen Weilern lebten vor Ausbruch der Pest 1340 Menschen. Gleich 750 Bäretswiler Einwohner – oder 57 Prozent – raffte der Schwarze Tod dahin.

Platzende Beulen mit Saft
Der Verlauf der Krankheit lief laut dem «Heimatbuch Bäretswil» folgendermassen ab: «Der Schwarze Tod kündigt sich an mit starkem Schwitzen, Niessen, Fieber, Mattigkeit, Kopfschmerzen sowie Schmerzen in Gelenken, Achselhöhlen und Leisten. Schliesslich bilden sich pflaumengrosse Geschwülste an den Leisten, Achselhöhlen und am Hals. Drei Tage später bilden sich über den ganzen Körper linsengrosse blauschwarze Flecken.» Oft treibe das Fieber die Kranken ins Delirium. «Platzen die Beulen und geben ihren grünen Saft ab, so kann der Kranke hoffen, vielleicht zu den 10 bis 15 Prozent zu gehören, welche die Plage überleben. Noch gefährlicher ist die Lungenpest, eine Art Vogelgrippe, die fast immer tödlich verläuft. Der Tod tritt gewöhnlich am dritten Tag nach Ausbruch der Krankheit ein.»

Unter den 750 Toten von Bäretswil war auch Pfarrer Jost Wagner. In Bettswil und Wappenswil sinken 80 Prozent der Bevölkerung ins Grab. Die Überlebenden am Fusse des Bachtels traten in der Folge die Flucht nach vorne an. Und wie! Vor dem Pestjahr 1629 gab’s im Durchschnitt in Bäretswil 9 Hochzeiten pro Jahr, so waren es allein im Spätherbst des Seuchenjahres 35 (!) Eheschliessungen. Auch in den beiden folgenden Jahren, so ist im «Heimatbuch Bäretswil» nachzulesen, waren es 27 und 16 Hochzeiten.

Baby-Boom in Bäretswil
Hoch zu und her ging’s offenbar nicht nur in der Hochzeitnacht. Fünf Jahre nach dem grossen Sterben lebten in Bäretswil 203 Kinder unter fünf Jahren – das waren 27 Prozent der Bevölkerung.

In dieser offenbar frivolen Zeit nach der schrecklichen Seuche wurde das Oberland auch von einer Inquisition erschüttert. Laut dem «Heimatspiegel» brachte der Fehraltorfer Pfarrer Peter Simmler die Lawine ins Rollen. Im Juni 1639 beschuldigte er die alte Weiblin, eine Wirtin von Fehraltorf, ein «ärgerliches Leben» zu führen. Sie stehe in Verdacht, verschiedene Ehebrüche begangen zu haben. Eine Untersuchung der Stadt Zürich zog rasch weite Kreise. Eine Margarete von Wallikon gestand nach Verhör und Folter fünf Ehebrüche sowie Unzucht mit unverheirateten Gesellen, was im damaligen Veständnis «Hurerei» bedeutete. Sie wurde am 25. November 1639 zum Tod durch das Schwert verurteilt. Mit den ersten Urteilen gab sich Zürich damals aber nicht zufrieden. Auffallend bei diesen Prozessen: Während die Frauen der Folter unterzogen wurden, begnügten sich die Richter bei den Männern mit einem Schuldeingeständnis und der Bitte um Gnade. Einige Männer, darunter der Bäretswiler Hans Jakob Wolfensberger, schoben die Schuld dem Alkohol und den Frauen zu.

Rad zwischen Kopf und Körper
Auch die Bäretswilerin Katharina Brunner und die Hittnauerin Adelheid Wolf wurden Anfang 1640 im Zürcher Rathaus zuerst verhört, dann im Wellenbergturm in der Limmat gefoltert. Mit Pein und Marter wurden ihnen, so berichtet der «Heimatspiegel», die Geständnisse abgepresst.

Die beiden Zürcher Oberländerinnen hatten sich danach des mehrfachen Ehebruchs schuldig bekannt. Angesichts ihres «schändlichen, üppigen, hochärgerlichen Hurenlebens» kannte der Rat von Zürich kein Pardon und übergab sie dem Nachrichter, der sich mit gebundenen Händen auf die Richtstätte führen und so enthaupten sollte, dass «ein Wagenrad zwischen Kopf und Körper durchrollen konnte.»

Max Kern

Back To Top