Meiste Einwanderer sind Glarner

Am Tor zum Zürcher Oberland steht bei der Autobahnausfahrt Rapperswil ein Roter Ackerstein-Findling mit Zürcher Wappen. (Foto: Max Kern)

Wer auf der A15 von Süden kommend bei Rüti die Kantonsgrenze überfährt, wird von einem roten Findling mit Zürcher Wappen begrüsst. Am Tor zum Zürcher Oberland liegt ein 300 Millionen alter Einwanderer.

Die meisten Autofahrer, die bei Rüti von Tempo 80 km/h so schnell wie möglich auf 120 km/h beschleunigen wollen, werden den Felsblock zwischen den Leitplanken nicht bemerken. Wer kurz rüberschielt, wird sich wohl über die rötliche Farbe wundern. Der Findling ist ein sogenannter Roter Ackerstein. Auf dem Geopfad des Verkehrsvereins Hinwil, der von Wernetshausen Richtung Bachtel führt, lernen Geschichtsinteressierte viel über Findlinge, die auch erratische Blöcke genannt werden. Das lateinische Wort «errare» steht für irren oder verirren. Findlinge sind gletschertransportierte Gesteine, die an Orten gefunden werden, wo sie geologisch nicht hingehören. Ihre Herkunft liegt oft weit im Alpeninnern, in den Einzugsgebieten der Eiszeitgletscher. Leitgesteine, deren geologisches Herkunftsgebiet man genau kennt, verraten ihren Transportweg auf dem Rücken der einst kompliziert verästelten Gletschersysteme.

Vom Sernftal an den Bachtel
Erratische Blöcke findet man verstreut übers ganze Mittelland. Anfangs des 19. Jahrhunderts glaubte man, die Findlinge seien Zeugen der biblischen Sintflut. Auf dem Hinwiler Geopfad erfährt man auch: Zu den im Zürcher Oberland am häufigsten vorkommenden Findlingen zählen die Roten Ackersteine, sogenannte Sernifite oder Glarner Verrucano. Die Sernifite entstanden vor zirka 265 Mio. Jahren in einer Wüste in der Region des heutigen Mittelitaliens. Mit der Alpenbildung wurden sie emporgehoben und ins heutige Glarnerland (vor allem ins Sernftal) verfrachtet. Die rote Farbe erhielten die Findlinge von rostenden Mineralien. Während der Eiszeiten sind die Sernifite aus dem Sernftal ins Zürcher Oberland gewandert. Teilweise haben die Steine, so erfährt man auf dem Eiszeit-Pfad Winterthur, mehrere Kilometer pro Jahr zurückgelegt, dann wieder nur einige Meter. Die roten Steine kommen oft beim Ackerpflügen zum Vorschein, daher der Name Roter Ackerstein.

Auf dem Findling-Friedhof am Bachtel findet man neben einem ungefähr 230 Millionen Jahre alten Roten Ackerstein aus der Region Murg am Walensee auch vier andere Findlinge.

Auch Bündner Steine wanderten
Der älteste ist ein Amphibolitgneis. Sein Alter wird von Forschern auf 350 Millionen Jahre geschätzt. Herkunft? Wohl die inneren Alpen, zum Beispiel das Vorderrheintal bei Disentis und Sedrun. Weiter ruht auf dem Findling-Friedhof ein Melser Sandstein. Wie der Name verrät, wanderte der Quarzsandstein mit gelbbraunen Dolomitstücken und rötlichem, aufgearbeitetem Verrucano-Material in der Region Mels vor circa 210 Millionen Jahren los. Weiter findet man einen grauen, kieseligen Kalk mit schwarzgrauen Feuersteinknollen. Der Findling aus der Region Alvier weist viele Kratzspuren vom Transport am Gletschergrund auf. Alter? Ungefähr 160 Millionen Jahre. Der jüngste steinerne Einwanderer auf dem Findling-Friedhof ist ein Konglomerat (Nagelfluh, verkitteter Fluss-Schotter) mit runden Geröllen. Die Gerölle sind vor allem aus Kalk, Dolomit und Sandstein. Dazu gibt’s sandiges Zwischenmittel. Das Konglomerat ist 20 bis 30 Millionen Jahre alt und stammt aus der Region Ziegelbrücke-Schäniserberg. Auf der Strasse von Wernetshausen Richtung Bachtel steht auf linker Seite der Zwölfistein, ein knapp vier Meter hoher Speer-Nagelfluh. Der Sage nach dreht er sich, wenn es am Basler Münster (oder der Hinwiler Kirche) Mitternacht schlägt, bei jedem Schlag einmal um die Achse. Gesehen hat’s noch keiner. Wie sagt man in Italien, wo die meisten Oberländer Findlinge ursprünglich herkommen, so treffend: Se non è vero, è ben trovato. Wenn’s nicht wahr ist, ist’s gut erfunden.

Max Kern

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